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Dollars, Drogen und bewaffneter Kampf

Kolumbien: Die Geschichte eines ehemaligen Kindersoldaten

Juan Andrés (Name und einige biografische Daten geändert) wurde vor 18 Jahren in La Gabarra geboren. Seine Eltern waren Kleinbauern.  Mit Zwölf fing er an für die Guerilla-Organisation EPL (Ejército de Liberación Popular) zu arbeiten. Drei Jahre lang war er »Miliciano«, gab Informationen an die Bewaffneten weiter und schmuggelte Kokapaste. Ein Jahr lang diente er in der Kampftruppe. Juan-Andrés gelang die Flucht, und seit zwei Jahren lebt er im Kinderdorf Benposta, das von terre des hommes unterstützt wird. Hier seine Geschichte:

»Ich war zwölf und auf einer Party, als mich ein Freund fragte, ob ich Geld haben will. Ich sagte: Ja, klar. Er sagte: Wir müssen eine »Ware« transportieren, also Koka-Paste. Wir machten das, und ich bekam 500.000 Pesos dafür (ca. 140 Euro). Ich habe dann verschiedene Leute kennengelernt, und einige gehörten zu einer Einheit der ELN. Sie fragten, ob ich für sie arbeiten will. Und ich habe mitgemacht. Jeden Monat bekam ich 800.000 oder 900.000 Pesos. Bei mir im Dorf gibt es keine Möglichkeit, einen guten Beruf zu lernen. Aber durch die bewaffneten Gruppen kann man leicht zu Geld kommen. Bei der Guerilla habe ich den Dollar kennengelernt, man sieht viel Geld. Es kommt und geht.

In den Dörfern gibt es Leute, die mit Kokapaste handeln. Sie heißen »Compradores«. Ich musste aufpassen, dass sie die Paste an die ELN verkaufen und nicht nach Cúcuta oder Bogotá oder ins Ausland. Ich wusste also, wer gekauft hat, wieviel er gekauft hat, wie er sie verkauft hat. Und diese Information musste ich an die ELN weitergeben. Für jede Information haben sie mir 800.000 Pesos oder sogar mehr gegeben. Ich war damals zwölf Jahre alt und habe das drei Jahre lang gemacht. Gleichzeitig ging ich zur Schule. Mit dem Geld konnte ich alles bezahlen, was ich für die Schule brauchte, und so bin ich bis zur 9. Klasse gekommen. Ich war 16 als sie sagten, ich habe nun lange genug als »Miliciano« gearbeitet, ich müsste nun in die Kampfeinheit. Ich bin also nach der 9. Klasse bewaffnet worden. Ich war in vielen Schlachten – mit der ELN (Ejército de Liberación Nacional), mit der Armee, mit der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia).

»Loyalität ist das Wichtigste«

Woher die Waffen kamen? Von La Gabarra aus ist man in zwei Stunden in Venezuela. Die Waffen kommen aus den USA nach Venezuela und von dort aus passieren sie die Grenze nach Kolumbien. Sie kamen auf Booten auf dem Fluss Catatumba. Andere Waffen haben wir den Soldaten abgenommen, wenn es Kämpfe mit der Armee gab und Tote. Außerdem ist der kolumbianische Staat sehr korrupt. Als ich in der Gruppe war, kamen einige Generäle der Polizei ins Camp: Hier sind Waffen, hier ist Munition. Und wenn wir mit der »Ware« in Autos unterwegs waren, haben uns viele Polizei-Kontrollen vorbeigelassen. Ohne Probleme. Die meisten Waffen kommen aus den USA. Alle Arten: Die R15, das AK 47, die Railgun, die 9 Millimeter Pietro Beretta, die Mini-Uzi, Scharfschützengewehre, Raketen…

Irgendwann hat mich eine Frau vom UNHCR (UN-Flüchtlingswerk) gesehen. Der UNHCR, das Rote Kreuz und all diese Organisationen durften in das Konfliktgebiet herein, man darf sie nicht angreifen. Ich war klein und schmal und hatte eine Waffe, eine R15. Die Frau fragte, warum ich in meinem Alter schon mit einer Waffe herumlaufe, und ich habe es ihr erzählt. Sie fragte, ob ich nicht lieber etwaas anderes lernen will. Ich sagte: Ja, aber ich kann hier nicht raus.

Als meine Einheit von diesem Gespräch erfuhr, haben sie mich drei Tage gefesselt. Sie haben mich zwei Stunden lang mit Ameisen gefoltert. Ich habe vor Schmerz geweint. Sie haben mir diese beiden Fingernägel herausgerissen. Ich sagte: Nein, ich will nicht weg, ich werde ihnen lange Zeit dienen.

Schließlich kam ein Kommandant herein, der mich sehr mochte. Er sagte, wenn ich etwas lernen will, dann soll ich es tun. Aber ich soll niemanden verraten. Denn die Loyalität ist das Wichtigste. Sie kommt vor allem anderen. Wer nicht loyal ist, den bringen sie um. Sie testen dich. Sie verkleiden sich als Armee. Einmal haben sie mich mit drei Kilo »Ware« und 50 Millionen Pesos in einer Tasche auf dem Moped losgeschickt. Plötzlich ist da ein Kontrollposten der Armee. Sie haben mich festgenommen und gefragt, was ich da habe. Ich sollte Namen verraten. Sie haben mir eine Pistole an den Kopf gehalten. Ich erinnere mich noch genau wie sie gesagt haben: Sag uns, wer deine Auftraggeber sind oder wir töten dich. Ich sagte: Nein. Wenn du willst, töte mich. Der Mann schoss, aber die Pistole war nicht geladen. Ich habe also meine Loyalität bewiesen, es war ein Test.

Ich erzählte dann der Frau vom UNHCR, was passiert war. Sie gab meiner Mutter zwei Fahrkarten für den Bus. Ich sagte dem Fahrer, wo ich auf ihn warten würde, denn sie sollten mich nicht sehen. Ich musste um zwei Uhr morgens aufbrechen, damit es keiner merkte, und mich ins Gepäckfach legen. An einem Kontrollpunkt der ELN hielten sie den Bus an und durchsuchten ihn. Aber ich hatte Glück. Der Kommandant, der mich mochte, war dort. Er sah mich und sagte: Viel Glück. Und er gab mir zwei Millionen Pesos. So kam ich nach Cúcuta und ging zum UNHCR-Büro. Mir fehlten Papiere, und es dauerte eine Woche, bis sie fertig waren. In dieser Woche musste ich mich verstecken, denn sie haben nach mir gesucht. Sie haben das Haus meiner Mutter beschossen. Zum Glück war sie nicht zuhause. Nach einer Woche waren meine Papiere fertig und der UNHCR gab mir 400.000 Pesos und noch einmal 300.000 für die Tickets.

»Hier habe ich gelernt zu träumen«

Ich erzählte dann der Frau vom UNHCR, was passiert war. Sie gaben meiner Mutter zwei Fahrkarten für den Bus. Ich sagte dem Fahrer, wo ich auf ihn warten würde, denn sie sollten mich nicht sehen. Ich musste um zwei Uhr morgens aufbrechen, damit es keiner merkte, und mich ins Gepäckfach legen. An einem Kontrollpunkt der ELN hielten sie den Bus an und durchsuchten ihn. Aber ich hatte Glück. Der Kommandant, der mich mochte, war dort. Er sah mich und sagte: Viel Glück. Und er gab mir zwei Millionen Pesos. So kam ich nach Cúcuta und ging zum UNHCR-Büro. Mir fehlten Papiere, und es dauerte eine Woche, bis sie fertig waren. In dieser Woche musste ich mich verstecken, denn sie haben nach mir gesucht. Sie haben das Haus meiner Mutter beschossen. Zum Glück war sie nicht zuhause.

Ich hatte ein Telefon, da hatte ich alles notiert – wieviel Kilo von welcher Ware gehandelt wurden usw.. Sie sagten schließlich: Wenn du nicht kommen willst, dann schick uns das Telefon. Deshalb hatten sie meine Schwester gefangen genommen. Das Telefon war mir hingefallen und war kaputt. Das Display war gesprungen. Ich habe es reparieren lassen und habe es hingeschickt. Sie haben meine Schwester freigelassen und das war´s. Nach einer Woche waren meine Papiere fertig und der UNHCR gab mir 400.000 Pesos und noch einmal 300.000 für die Tickets.

So kam ich hierher zu Benposta. Es war der 17. Mai 2017. Hier ist alles ganz anders. Hier habe ich gelernt zu träumen. Ich habe gelernt frei zu sein. Ich habe gelernt zu sagen, was mir nicht gefällt. Und was mir gefällt. Ich habe gelernt, dass es schwierig ist, wenn man nichts gelernt hat. Dass das Geld nicht alles ist. Geld kann glücklich machen, aber die Menschen, die wir am meisten lieben, machen uns viel glücklicher. Ich bin Benposta sehr dankbar.«

20.05.2019

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